Rechtsanwalt Karl Engels Archiv
Geht man von dem Gedanken aus, daß die Tage und Nächte, welche der zum ersten male Verurteilte in dem Gefängnisse zubringt, zusammengeworfen mit grau gewordenen Verbrechern, ohne Beschäftigung und ohne Aussicht, in zahlreichen, ja in den meisten Fällen entscheidend sind für ein späteres Leben; daß sein Ehrgefühl, die Scheu vor der Strafe vernichtet ist; daß die erste kurze Freiheitsstrafe nur die erste Stufe ist, die zum Rückfall und durch diesen zum unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechertum führt; ist man sich klar darüber, daß auch die kurze Freiheitsstrafe nicht bessert oder abschreckt, sondern nur abstumpft und die stärkere Triebfeder knickt, welche vor der Verbrecherlaufbahn zurückhält, die Achtung vor sich selbst - dann liegt die Schlußfolgerung nahe genug, daß es sich empfehlen müsste, dem Erstverurteilten eine Frist zu gewähren, ehe die Gesellschaft ihn preisgibt, noch einmal sein Schicksal ihm in seine eigene Hand zu legen, damit er sich zu bewähren, sich zu retten in der Lage ist.


Franz von Liszt (1851-1919)