Rechtsanwalt Karl Engels Archiv
Herr A. war verärgert, weil Oberstaatsanwalt O. einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt hatte und darauf die Wohnung des Herrn A. in Abwesenheit seines Verteidigers, der gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt hatte, durchsuchen liess.

Herr A. erklärte gegenüber Kriminalhauptkommisar K., der ihn in der Haftanstalt aufgesucht und über die Durchsuchung in Kenntnis gesetzt hatte, Oberstaatsanwalt O. sei ein Rechtsbrecher und seine Tage bei der Justiz seien gezählt. Er werde ihn nach seiner Haftentlassung bis zum Schluss verfolgen.

Das solle Herr K. dem Herrn O. auch so mitteilen.

"Das muss ein Oberstaatsanwalt aushalten", entschied das Oberlandesgericht Naumburg mit Beschluss 10. November 2011 (2 Ss 156/11) und sprach Herrn A. vom Vorwurf der Beleidigung frei. Ein Oberstaatsanwalt sei von Berufs wegen in der Lage, solche "überpointierte" Kritik an seiner Arbeit beim Kampf um das Recht auszuhalten.

Herr A. habe seine berechtigten Interessen wahrgenommen, indem er - wenn auch scharfe - Kritik an dem Vorgehen des Oberstaatsanwalts übte.

Mit seiner Bezeichnung als "Rechtsbrecher" habe er die Meinung geäussert, Oberstaatsanwalt O. habe vorwerfbar gegen das Recht verstossen. Das müsse ein Bürger im Rahmen rechtlicher Auseinandersetzungen, wie sie hier im Zusammenhang mit der Durchsuchung der Wohnung des Herrn A. stattfanden, ungestraft sagen dürfen. Herr A. sei möglicherweise zu Recht über die unterlassene Zuziehung seines Verteidigers verärgert gewesen.

Weil sich diese Verärgerung spontan entladen habe, Herr A. sich nur mündlich und in sachlichem Zusammenhang mit dem Vorgehen des Oberstaatsanwalts "Luft gemacht" habe, handele es sich nicht um eine sogenannte Schmähkritik, welche die kritisierte Person im Ganzen herabsetzen solle.

Die Ankündigung des Herrn A., er werde Oberstaatsanwalt O. bis zum Schluss verfolgen und dessen Tage bei der Justiz seien gezählt, enthalte nichts Ehrenrühriges, sondern die Ankündigung, von seinen Rechten Gebrauch zu machen und die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen.

Die Abwägung zwischen der geschützten persönlichen Ehre des Oberstaatsanwalts O. einerseits und dem Recht des Herrn A. auf freie Meinungsäusserung andererseits falle hier zu Gunsten der Meinungsfreiheit aus.


StraFo 2012, Seite 283-284