Rechtsanwalt Karl Engels Archiv
AG Essen, Beschluss vom 27.02.2008 - 44 Gs 1518/08

In der Ermittlungssache gegen ... wegen Verdachts des Verstoßes gegen das BtMG pp. wird festgestellt, dass die polizeiliche Durchsuchung der Wohnräume des Beschuldigten am 04.10.2007 sowie die anschließende Sicherstellung von aufgefundenen Beweismitteln rechtswidrig waren.

Gründe:

Die Wohnung des Beschuldigten und seiner Ehefrau ... wurde am 04.10.2007 um 20.45 Uhr durch Einsatzkräfte der Polizei Essen ohne vorherige Kontaktierung des zuständigen Eildienstrichters oder des Eildienststaatsanwalts geöffnet und durchsucht.

Dem war vorausgegangen ein Hinweis aus der Bevölkerung, dass auf dem Balkon der Eheleute ... eine Marihuanaplantage betrieben werden soll.

Tatsächlich nahmen Polizeibeamte, hier die Zeugen ... und ..., den Balkon vom Dach einer nebenstehenden Garage aus um 19.48 Uhr in Augenschein und stellten augenscheinlich Marihuanapflanzen fest.

Der Eingangsbereich des Hauses kann von den Beschuldigten mittels einer am Fenster installierten Kamera eingesehen und überwacht werden. Nachdem die Beamten die Feststellungen vom Garagendach aus getroffen hatten, nahmen sie die Klingelleiste der Haustür in Augenschein und entdeckten dabei die Möglichkeit der Beobachtung durch den Beschuldigten via der vorgenannten Kamera.

Bei der Durchsuchung ab 20.45 Uhr nach Hinzuziehung von Unterstützungskräften des Einsatztrupps wurden sodann Marihuanapflanzen, eine Feinwaage, eine hohe Anzahl von Druckleistentütchen, ca. 8 g Marihuana und ca. 14,5 g Haschisch aufgefunden.

Der Verteidiger des Beschuldigten hat mit Schreiben vom 23.01.2008 Antrag gem. § 98 II 2 StPO gestellt. Die Staatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die hier von der Polizei durchgeführte Maßnahme war rechtswidrig, da nicht von einer Ermächtigungsgrundlage gedeckt.

Es lag weder ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vor, § 105 Abs. 1 Var. 1 StPO, noch konnte auf dessen Einholung gem. § 105 Abs. 1 Var. 2 StPO deshalb verzichtet werden, weil Gefahr im Verzug vorlag. Dies war gerade nicht der Fall.

Gefahr im Verzug liegt vor, wenn die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wird (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 98 Rn. 6 mwN). Dies muss von den eingesetzten Beamten mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen sind, um den Richtervorbehalt nicht bewusst zu unterlaufen. Fallunabhängige Vermutungen reichen insoweit nicht aus.

Diese Tatsachen lagen hier nicht vor. Zwar hielten die Beamten an der Klingelleiste der Tür Ausschau nach dem Namen der Bewohner und vermuteten sich, nachdem sie die Kamera gesehen hatten, entdeckt und befürchteten Beweismittelverlust.

Diese Annahmen sind aber durch keinerlei Tatsachen gedeckt. Problematisch ist hier schon, dass die Polizeibeamten nach Einsicht auf den Balkon gegen 19.48 Uhr und den getroffenen Feststellungen zu einer Marihuanaplantage zuwarteten bis 20.45 Uhr, bevor die Wohnung durchsucht wurde.

Das Amtsgericht Essen sowie auch die Staatsanwaltschaft Essen unterhalten einen leistungsfähigen Eildienst, der wochentags - hier Donnerstag - von 06.00 Uhr bis 21.00 Uhr mittels Mobiltelefon rufbereit ist. Nichts hätte hier näher gelegen und wäre auch von den Beamten erfordert gewesen, als mittels Mobiltelefon den zuständigen Eildienstrichter anzurufen und sich eine zumindest mündliche Durchsuchungsanordnung innerhalb weniger Minuten ausstellen zu lassen. Dies um so mehr, als die Beamten fast eine ganze Stunde warteten, und zudem noch abwarteten, bis Verstärkung eintraf, bevor der Zugriff geschah.

Eine Unterrichtung des Richters oder zumindest des diensthabenden Staatsanwalts ist aber nicht einmal ansatzweise versucht worden. Dieses lange Zuwarten an sich widerspricht bereits den Grundsätzen der Gefahr im Verzug.

Jedenfalls aber liegen keine objektivierbaren einzelfallbezogenen Tatsachen für Anhaltspunkte vor, dass die Beamten tatsächlich beobachtet und die Vernichtung der Beweismittel tatsächlich gedroht hätte, so dass sich hieraus eine Gefahr im Verzug ableiten ließe. Vielmehr erschöpft sich die Begründung der Beamten hier in der Äußerung von Vermutungen. Nichts hätte näher gelegen, als vom Garagendach aus eine mögliche Aktivität in der Wohnung des Beschuldigten weiter zu beobachten, insbesondere, ob ggfs. die auf dem Balkon befindliche Plantage plötzlich hektischer Abbauarbeit durch den Beschuldigten unterliegt.